KOHLENHYDRATUNVERTRÄGLICHKEITEN
Wolfgang Werner (Münster)
Auf
Grund der Malabsorption einiger Kohlenhydrate im Dünndarm gelangen sie in den
Dickdarm, wo sie als Nahrungsgrundlage für Bakterien dienen, die sie zu Gasen
wie Kohlendioxid (CO2) und Methan (CH4), sowie Säuren wie
z.B. Milchsäure ()
und Essigsäure (CH3COOH) vergären. Die Gärungsvorgänge führen zu
Blähungen, Koliken und Durchfall. Diese Beschwerden können speziellen Zuckern
zugeordnet werden (Diagnostik des Arztes). Ist der die Beschwerden auslösende
Zucker Milchzucker bezeichnet man das Krankheitsbild als Milchzuckerunverträglichkeit
oder Laktoseintoleranz. Auch Fruchtzucker (Fructose) kann
die Ursache für dieses Krankheitsbild sein. Dann spricht man von
Fructoseintoleranz. Sehr selten ist die Saccharoseintoleneranz (griech.
sacharon, Zucker), bei der durch einen Mangel an Invertase der Haushaltszucker Abb. 2 im Dünndarm nicht gespalten wird und daher in den Dickdarm
gelangt. Diese Unverträglichkeiten (Intoleranzen) sind nicht dem allergischen Formenkreis
zuzuordnen, wenn auch die Symptome oft ähnlich sind, wie z.B. die
Kuhmilchallergie, bei der gewisse Eiweiße (α-Lactalbumin, β-Lactoglobulin, Casein) als Allergene Abwehrreaktionen auslösen.
A. Fructoseintoleranz
Fructose ist der Zucker der
Früchte. In kristalliner Form liegt der Fruchtzucker in der Pyranose-Form vor,
die in wässriger Lösung mit der Furanose-Form über die offenkettige Form im
Gleichgewicht steht. (s. Abb.1). Seine Lösung dreht die Ebene polarisierten
Lichts nach links. Diese Eigenschaft führte zu dem Namen Laevulose ( lat
laevus, links).
In größerer Mengen Fructose liegen gebunden in Saccharose vor. (s.Abb.2) Der erste Schritt der Verdauung
ist die Aufspaltung der Saccharose (griech. sacharon, Zucker) in Glucose
(griech.glycys, süss) und Fructose, die dann im Dünndarm
resorbiert werden. Die Passage der Fructose durch die Dünndarmwand erfolgt mit
Hilfe eines speziellen Proteins passiv ; während Glucose unter Energieverbrauch
in die Zelle gepumpt wird.
Bei der Fructoseintoleranz handelt es sich um eine erbliche
Stoffwechselkrankheit : Als Folge eines Enzymdefekts : der
Fructose-1-Phosphataldolase kommt es zu einer Anhäufung von Fructose-1-
Phosphat in der Darmwand, in der Leber und in den Nieren. Die Schädigung der
Leber kann zu einer Zirrhose führen. Eiweißausscheidung der Nieren wird
beobachtet. (Proteinurie)
Bei Ausfall der Fructokinase kommt es zu einer Anhäufung der mit der Nahrung
aufgenommenen Fructose im Blut und als Folge davon zur Ausscheidung von
Fructose im Harn (Fructosurie).
Etwa 30% der europäischen Bevölkerung bauen Fructose unvollständig ab, aber
nicht in allen Fällen kommt es zu Beschwerden.
Durch Einschränkung der Fructoseaufnahme kann der Fructoseintoleranz begegnet
werden. Dabei darf der Haushaltszucker (Rohr bzw. Rübenzucker) s. Abb. 2 nicht außer Acht gelassen werden,
da er leicht zu einem Gemisch aus Glucose und Fructose (Invertzucker) gespalten
wird. Auch Honig besteht aus Invertzucker (stoffmengengleiches Gemisch aus
Glucose und Fructose aus der Spaltung von Saccharose, der Drehsinn des
polarisierten Lichtes der Saccharose (+) wird bei dieser Spaltung umgekehrt,
invertiert zu (-)). Eingeschränkt werden muss auch die Aufnahme des Diätzuckers
(Zuckeraustauschstoff) Sorbit (E420)(Abb.3), der im Körper in Fructose umgewandelt wird.
B.Lactoseintoleranz
Milchzucker s. Abb.4 oder Lactose (lat. lactis,
Milch) ist der Zucker in der Muttermilch der Säugetiere und dient zunächst der
Ernährung der Neugeborenen. Es handelt sich um ein Disaccharid aus Glucose
(griech. glycos, süss) und Galactose (griech. galactos, Milch).
Zur Herstellung von Käse wird das Casein der Milch gefällt, zurück bleibt die
Molke aus der der Milchzucker unter Ausnutzung der geringen Löslichkeit
gewonnen wird. Die Süßkraft s. Tab. 1 beträgt nur 1/3 der Saccharose, deren Süßkraft
zum Vergleich mit 1 festgelegt wird. Wegen der geringen Löslichkeit
hinterlässt Milchzucker auf der Zunge einen sandigen Eindruck und wird
daher auch als Sandzucker bezeichnet. Die Bezeichnung Schleimzucker beruht auf
seinem Vorkommen in Schleimhäuten.
Um Lactose verdauen zu können, muss sie erst in die Monosaccharide Glucose und
Galactose gespalten werden. Diese Aufgabe übernimmt das Enzym Lactase, über das
Neugeborene natürlich verfügen. Im Vergleich mit dem Enzym Saccharase, welches
den Haushaltszucker spaltet, benötigt die Lactase viermal mehr Zeit für die
Spaltung eines Milchzuckermoleküls. Daher nehmen Sportler Milchzucker als “Retardzucker“. Die Galactose ist ein Stereoisomer
der Glucose und wird während der Verdauung in diese umgewandelt. Etwa ab dem 5.
Lebensjahr nimmt die Bildung der Lactase ab, bis zu 1/10 im Erwachsenenalter.
In Deutschland sind 17% der Bevölkerung von Lactasemangel, den man auch als
Alactasie bezeichnet, betroffen ; weltweit sind es etwa 90%. Eine
Mutation ermöglichte es unseren Vorfahren auch die Energie des Milchzuckers zu
nutzen. Dank des Überlebensvorteils konnte sich diese Mutation bei
Nordeuropäern durchsetzen. Es gibt ein Nord-Süd-Gefälle: so ist
Lactose-Unverträglichkeit in Skandinavien praktisch unbekannt, in einigen Regionen
Afrikas und Asiens sind bis zu 100% der Bevölkerung davon betroffen.
Milchzucker wird zur Verdauung
zunächst in Glucose und Galactose gespalten ; Galactose und Glucose werden im
Dünndarm resorbiert.
Bei Milchzuckerunverträglichkeit wird der Milchzucker mangels des Enzyms
Lactase nicht gespalten und gelangt in den Dickdarm. Dort wird er zu Milchsäure
und Kohlendioxid vergoren, was die Befindlichkeitsstörungen verursacht.
Das Kohlendioxid ist für die Blähungen verantwortlich; die Milchsäure für die
Darmreizung. Milchsäure hemmt aber auch pathogene Keime und Fäulnisbakterien.
Als Osmolaxans setzt man größere Mengen Milchzucker ein. Er findet auch
Verwendung als Hilfsmittel bei der Tablettenherstellung und als
Verdünnungsmittel homöopatischer Arzneimittel. In der Lebensmitteltechnologie
nutzt man ihn zur Erzielung einer gewünschte Konsistenz von Tiefkühlkost und
eines cremigen Geschmacks. Auch in Wurst- und Backwaren ist Milchzucker oft ein
Teil der Rezepte.
Die übliche Ernährung enthält etwa 25 – 35 g Milchzucker pro Tag.
Die Auslösung der Symptome der Milchzuckerunverträglichkeit ist abhängig vom
Schweregrad der Erkrankung.
Bei leichtem Schweregrad werden noch 8 – 10 g vertragen.
Bei mittelschwerem Grad werden bis 1 g vertragen.
Der Gehalt an Milchzucker variiert in verschiedenen Milchprodukten Tab.2
Fettreiche Produkte enthalten meist weniger; Sauermilchprodukte werden
teilweise gut vertragen, weil einige Milchsäurebakterien im Dünndarm auch
Lactase bilden.
In „lactosefreier Milch“ ist der Milchzucker durch Zusatz
von Lactase in Glucose und Galactose gespalten worden. Diese Milch schmeckt
leicht süßlich, da Glucose eine höhere Süsskraft als Galactose hat Tab.1 Bei der Reifung von Käse vergären
Milchsäure- und Propionsäure- Bakterien restlichen Milchzucker. Dabei entstehen
neben dem typischen Käsearoma auch Kohlendioxid, das zu den typischen Löchern
im Käse führt. Hartkäse ist daher leichter verträglich.
Eine weitere Alternative ist die Sojamilch. Dieses pflanzliche Getränk wurde
etwa 164 v. Chr. von dem chinesischen Prinzen Liu An der Han Dynastie entdeckt
und entwickelt. Sojamilch enthält keinen Milchzucker ; mit 3,5% Proteinen
gleicht sie der Kuhmilch, der Fettanteil gleicht ebenfalls der Kuhmilch ;
Sojamilch enthält kein Cholesterol, aber ungesättigte Fettsäuren.
Die Beschwerden lassen sich durch Vermeidung von Milchzucker erreichen, jedoch
ist eine Vermeidung nicht leicht, da Milchzucker in Lebensmitteln nicht
deklariert werden muss. Eine andere Möglichkeit ist die gleichzeitige Einnahme
von Lactase, die biotechnologisch hergestellt wird. Die gesamte asiatische
Esskultur ist frei von Lactose.
Saccharose = Haushaltszucker = Rohrzucker = Rübenzucker
1-β-D-Galactopyranosyl-4-β-D-Glucopyranose
Lactose = Milchzucker
Süssstoff |
Süsskraft |
Fructose |
1.5
bis 1.75 |
Invertzucker |
1.2 |
Honig |
1.2 |
Saccharose |
1 |
Glucose |
0.5
bis 0.7 |
Galactose |
0.4
bis 0.7 |
Sorbitol |
0.3
bis 0.5 |
Lactose |
0.2 |
Nahrungsfasern |
keine
Süsskraft |
Milch
und Milchprodukte |
Gehalt an Milchzucker [g/100 g] |
Milch |
ca.
5,0 |
Buttermilch |
ca.
4,0 |
Creme
fraiche |
ca.
2,0 - 2,4 |
Desserts
(Cremes, Pudding, Milchreis, Grießbrei) |
ca.
2,8 - 6,3 |
Dickmilch |
ca.
4,5 |
Eiskrem |
ca.
6,0 |
Hüttenkäse |
ca.
3,0 |
Joghurt |
ca.
3,7 - 5,6 |
Kaffeesahne |
ca.
4,0 |
Kefir |
ca.
5,0 |
Kondensmilch |
ca.
11,5 |
Magerquark |
ca.
4,1 |
Speisequark
(10-70% Fett i. Tr.) |
ca.
2,0 - 3,8 |
Sahne |
ca.
3,5 |