ESSIGSÄURE
(Wolfgang WERNER – Münster)


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Die französische Bezeichnung vinaigre  gibt schon einen Einblick in die Bildung dieser, nicht nur als Würzmittel, verwendeten Säure aus Wein.
    Bei der alkoholischen Gärung des Traubensafts, wird der Zucker (Glucose) darin  in Ethanol und Kohlendioxid umgewandelt. Aus der bei dieser Umwandlung gewonnenen Energie bestreitet die Hefe Saccharomyces cerevisiae, deren Sporen ubiquitär vorkommen, und mit den Trauben in den Most geraten, ihre Existenz und Vermehrung.
    Der Vorgang der Gärung läuft ohne Beteiligung von Luftsauerstoff ab, man bezeichnet  ihn als anaerob  (griech. aer Luft; an- Verneinung). Die Bilanz der bekannten ineinander greifenden enzymatischen Reaktionen lässt sich darstellen durch die  Gleichung:

    Nicht nur Traubensaft, sonder alle Zuckerlösungen können gären; so entsteht z.B.aus Apfelsaft Apfelwein (cidre).Wässrige Zuckerlösungen,  die  über 100
250g Zucker pro Liter enthalten, gären nicht  mehr.  Die entstehenden  Lösungen können bis zu 15 Vol% Alkohol  erreichen, ein höherer Alkoholgehalt hemmt die Gärung.
Läßt man Wein bei Zimmertemperatur offen stehen, so wird er sauer (lat. vinum  acidum). Mit "sauer" ist hier nicht die natürliche Säure des unvergorenen Saftes (Most) gemeint. Es tritt gleichzeitig ein charakteristischer Geruch nach der Essigsäure (
Abb.1)   auf, den man als Essigstich bezeichnet. Die Römer kannten und nutzten Essig. Die französische Bezeichnung "vinaigre"  für Essig beschreibt  den unerwünschten Vorgang: vin, Wein wird sauer, aigre, von lat. acer, sauer, scharf. Im Englischen ist daraus  "vinegar" geworden. Die gleiche Wortbildung  erfolgte  im Spanischen und Portugiesischen: vinagre.
Daß es sich bei der Essigbildung um eine Oxidation von Alkohol handelt, hatte Antoine  de Lavoisier  (1743
1794) erkannt:

der schon dem Sauerstoff seinen Namen gegeben: Er nahm an, dass dieses Element  in allen Säuren enthalten sei und fügte griech. oxys, sauer und genein, bilden zu oxygen, Sauerstoff zusammen.
Die Erkenntnis, dass es sich bei der Bildung von Essig aus Alkohol, um einen biochemischen Prozess handelt, verdanken wir Louis Pasteur (1808
1873). Auf den Pasteurschen Untersuchungen basierend,  nahm ab 1865 die industrielle Herstellung von Essig einen Aufschwung. Das Essigsäurebakterium  Acetobacter  gerät in nicht verschlossenen Wein. Die kleinen Fliegen, die wie magisch von offenem Wein angezogen  und Essigfliegen (Drosophila) genannt  werden, begünstigen die Übertragung von Acetobacter. Die Essigsäurebakterien wachsen zu einer Schicht  an der Oberfläche, die man Essigmutter nennt. Acetobacter  lebt von der Energie, die bei der Oxidation frei wird. Vorgänge, die bei Gegenwart von Luftsauerstoff ablaufen, nennt man aerob. Jede verdünnte Alkohollösung kann zu Essig werden. Dabei entspricht  der Alkohol-Gehalt  dem entstehenden Essigsäure-Gehalt.

 Unterbrechung der Essigbildung

Der Verderb des Weines ist ein unerwünschter Vorgang. Man verschließt  daher  den gärenden Most mit einem  Gärverschluß, der das gebildete Kohlendioxid austreten, aber keine Luft eintreten lässt. Dadurch wird nicht nur der Luftsauerstoff ausgeschlossen, sondern auch der Zutritt von Essigsäurebakterien, und anderen Mikroorganismen aus der Umgebungsluft,  die  alle Weinfehler verursachen. Auf diese Weise ist zumindest  der junge Wein nicht  gefährdet. Bleibt das   Problem  der Lagerung und des Transportes. Aus Grabbeigaben im alten Ägypten ist  bekannt, dass Wein in Gefäßen mit Holzstückchen  abgedeckt  wurde. Diese Technik verwendeten auch die Griechen und Römer, die Weinbau und Weinbereitung in Europa   verbreiteten. Sie dichteten die Amphoren zusätzlich mit Pech, Ton oder Gips ab. Sie sollen auch Rinde von Korkeichen,  die  im Mittelmeerraum heimisch sind, verwendet  haben; doch geriet die Verwendung von Kork in Vergessenheit.  Die Verwendung von Kiefernharz zum Abdichten von Amphoren gab dem Wein einen besonderen Geschmack. Davon ist der Retsina  ein in Griechenland noch heute geläufiger  Nachfahre. Der Wein der Antike war kein reiner Genuss, und wurde   daher mit Kräutern und Gewürzen aromatisiert. Diese Zusätze verliehen dem Wein auch eine bessere Haltbarkeit. Die Technik, durch Kochen Wein haltbar zu machen, wurde auch schon von den Römern genutzt. Dass bei der Pasteurisierung Bakterien und Pilze abgetötet werden, wurde  erst später verstanden. Auch das Schwefeln (Zugabe von SO2) hindert die Essisäurebakterien in ihrer Aktivität.
Im  17. Jahrhundert beginnt  die Verwendung von Glasflaschen für die Aufbewahrung von Wein. Verschlossen wurden die Flaschen mit  ölgetränkten Hanfpfropfen. Bei dem Namen Dom Perignon,   dem Benediktinermönch in Hautvilliers  bei Epernay,  denkt man an
Champagner. Wichtiger  ist hier, dass er seine Flaschen mit Korkstücken verschloss (1688). Für gute Weine hat der Flaschenkorken durch den Kunststoffkorken nicht verdrängt werden können.

Anorganische Salze der Essigsäure

Bleizucker

Zum Süßen des Weines haben die Römer Traubensaft in Blei- oder Tongefäßen mit Bleiglasur zu Sirup eingedickt, um damit den Wein zu verbessern. Später haben sie auch Blei  in Essig gelöst. Der so gesüßte Wein war der Oberschicht vorbehalten. In menschlichen Knochen aus  dieser Zeit wurden erhebliche Mengen Blei gefunden, so dass man annimmt, dass der Niedergang des römischen Reiches  auch mit Bleivergiftung zusammenhängt. Bleizucker  Pb(CH3COO)2 und auch Bleiweiß  PbCO3  wurden noch im Mittelalter zur Verbesserung dem Wein zugesetzt, obwohl die Giftigkeit des Bleis bis hin zu Todesfällen  bekannt war. Durch Blei wurde nicht nur Süße hinzugefügt, auch Säuren entfernt: z. B. als Bleioxalat  und Bleitartrat, die ausfallen.  Samuel Hahnemann (1755 1843), den wir als Begründer der Homöopathie kennen, war ein chemisch versierter Apotheker. Der Hahnemannsche Liquor zur Weinuntersuchung   war  eine angesäuerte mit Schwefelleberluft, also mit Schwefelwasserstoff, gesättigte Lösung,  die mit Blei zu PbS reagiert  und behandelten Wein dunkel  färbt.

Grünspan

Auf Kupfer in Essig, besonders nahe der Oberfläche zur Luft, bildet sich langsam eine grüne Schicht aus basischem Kupferacetat, die man Grünspan nennt; Diese Schicht wurde abgekratzt und als Malerfarbe verwendet.  Bei der Patina auf Kupferdächern handelt es  sich um basisches Kupfercarbonat.
1800 entdeckte Ignaz von Mitis in Wien ein intensiv grünes Pigment, das aus einem Gemisch von Kupferacetat und Kupferarsenit besteht, und zunächst aus Mitisgrün bezeichnet wurde. Nach der ersten industriellen Herstellung in Schweinfurt ist es als Schweinfurter Grün bekannt.  Unter dem Einfluss von Mikroorganismen entwickeln sich aus dem geschätzten und lichtechten Pigment und dem Bindemittel organische Arsenverbindungen, die über die Atemluft zu Vergiftungen führten. Dies brachte der Malerfarbe die Bezeichnung giftgrün (frz. vert criard) ein. Wegen seiner Giftigkeit wurde das Schweinfurter Grün schon 1882 verboten; wurde aber noch einige Jahre als Insektizid verwendet.

Essigsaure Tonerde

Bei diesem alten Hausmittel handelt es sich um eine saure Lösung von Aluminiumacetat. Die adstringierende Wirkung kommt dem Aluminium zu,  die  entzündungshemmende Wirkung der Essigsäure bzw. dem Acetat.

Essig

Es ist nahe liegend, dass  überall, wo man Wein, auch Essigsäure kannte. So war Essig als Würzmittel schon in der Küche der Ägypter, der Griechen und der Römer bekannt. Auch die Chinesen sollen schon vor über 4000 Jahren Essig hergestellt haben.

Ein besonderer Essig ist der Aceto Balsamico, der zuerst um 1600 in Modena erwähnt wird. Der Name Aceto Balsamico ist nicht geschützt und steht daher weder für die Herkunft, noch für die Qualität  dieses Würzessigs.
Für römischen Soldaten diente Essigwasser als Erfrischungsgetränk. In Kenntnis  dieses Zusammenhangs  erscheint der Bericht, dass die Soldaten Jesus am Kreuz Essig reichten, in einem neuen Licht.
Wichtig  ist neben der Verwendung als Würzmittel die konservierende Wirkung der Essigsäure. Eingelegtes Gemüse (saure Gurken) und eingelegter Fisch (saure Heringe) sind seit dem 17. Jahrhundert  bekannt.

Essigsäure und ihre Salze sind als Konservierungs- und Säuerungsmittel  ohne Festlegung einer Höchstmengenbegrenzung zugelassen. Essigsäure   ist  nicht nur in Wasser, sondern auch gut fettlöslich, sie durchdringt  die Zellwände der Mikroorganismen und denaturiert Proteine.  Einige Brotsorten können  0.2 0,4% Natriumacetat (E 262)  enthalten.
Brotbehälter und Kühlschränke sollten gegen Schimmel mit Essigwasser ausgewischt  werden.
In der ersten Hälfte des 19. Jahrhunderts war die Radikaltheorie der zentrale Gegenstand der Chemiker. So ist es nicht sicher, ob die Namen des Radikale Acetyl und allgemein Acyl  (
Abb.2) von Berzelius oder von Liebig stammt. Auf jeden Fall war damals ein Radikal eine Atomgruppe, die als solche ausgetauscht, d.h. substituiert werden kann. Heute ist ein Radikal  durch ein ungepaartes Elektron charakterisiert.
Acetylen (Abb.3) wurde von J.-B. Dumas (1800 -1884) benannt, der mit diesem ätherartig und gar nicht sauer und gar nicht sauer riechendem Gas experimentierte und dabei Essigsäure erhielt.

Biochemie

Aktivierte Essigsäure oder Acetyl Co A sind gängige Bezeichnungen für Acetyl- Coenzym A. Es handelt sich um eine Schlüsselsubstanz im Citronensäurecyclus,   sowohl  für den Abbau  als auch für den Aufbau von Fettsäuren; dabei wird die Acetylgruppe, die sich von der Essigsäure ableitet, übertragen.

 Die Übertragung der Acetylgruppe von Acetylcholin auf die OH-Gruppe des Serins der Acetylcholinesterase  (Abb.4 )  ist  eine der  zentralen Reaktionen zum Verständnis  der Aktivität dieses Neurotransmitters.
Die Übertragung der Acetylgruppe  von Aspirin (
Abb.5) auf den Serinrest der Cyclooxygenase  (Abb.4) hindert  dieses Enzym an der Bildung der Schmerz- und Enzündungsmediatoren, der Prostaglandine. Die Übertragung der Acetylgruppe  von Acetylcystein  (Abb.6) auf Moleküle des Schleims führt zur Herabsetzung der Viskosität und erleichtert  dadurch das Abhusten des Schleims.

Neben dem hier aufgezeigten Weg aus Ethanol gibt  es heute großtechnische Verfahren zur Herstellung von Essigsäure, auf die hier ebenso wenig wie auf die Folgereaktionen eingegangen wird.

 Johann  Rudolf  Glauber (1604-1668) beschreibt 1658  in seinem  Opera  chimicae  nicht  nur das nach ihm benannte Natriumsulfat, sondern auch die Gewinnung von Holzessig bei der trockenen Destillation von Holz. Es dauerte aber noch160 Jahre bis die Identität mit dem Weinessig nachgewiesen und akzeptiert war.

Die Säure der Römer war acetum, die Essigsäure. Damit in Verbindung steht lat. acer scharf sauer. Davon leiten sich ab: franz. acide und engl. acid . Acetum drang früh über die  Alpen nach Norden und wurde im Althochdeutschen (9.Jahrhundert) zu Essich. Das Wort Säure ist germanischen Ursprungs. So sind die Bezeichnungen Essigsäure, acide acetique und acetic acid Pleonasmen.



 

Abb.1

Abb.2

Abb.3

Abb.4

Abb.5

Abb.6



Vers la traduction en français