SCHILFHONIG
Wolfgang Werner, Münster
Diese
Abhandlung zur Geschichte des Rohrzuckers ist eine Ergänzung zu dem Artikel
‚Zucker’ der über folgende Internet-Adresse :
https://tice.ac-montpellier.fr/ABCDORGA/Famille/WWZUCKER.html
zugänglich
ist.
Der Begriff Schilfhonig macht stutzig, da die Bienen in der Regel den Nektar
von Blüten sammeln. Schilf ist aber ein Gras, das keine Blüten ausbildet, die
Nektar absondern. „In Indien gibt es ein Schilfrohr, das Honig ohne Mithilfe
von Bienen hervorbringt.“ Diesen Satz notierte Nearchos in sein Tagebuch. Er
begleitete Alexander den Grossen (356 – 323 v.Chr.) auf dessen Indienfeldzug
(326 v. Chr.)
Plinius der Ältere (23 – 79) hat in seinem 37 Bände umfassenden Werk
‚Naturalis historia’ das Wissen seiner Zeit aufgeschrieben und so übermittelt.
In Dissertationen, die im Mittelalter in lateinischer Sprache verfasst wurden,
war dieses Werk Grundlage des naturgeschichtlichen Wissens und es wurde oft
darauf Bezug genommen. Professor H. Olbrich, Leiter des Zucker Museum in
Berlin, hat in den Jahren 1973 bis 1977 ausgewählte Dissertationen mit
Übersetzung in den „Beiträgen zur Entwicklungsgeschichte der Zuckerwirtschaft
und der Zuckerindustrie“ zugänglich gemacht.1) ,2),3),4), 5)
Da es sich um Dissertationen handelt, die einer medizinischen Fakultät
vorgelegt worden sind, wird Zucker als Heilmittel betrachtet. So wird auch
Dioscorides oft zitiert. Pedianos Dioscorides (etwa 40 - 90 n.Chr.), hatte in
seinem Lehrbuch „ De materia medica“ 600 Heilpflanzen beschrieben. Dieses
Lehrbuch der Arzneimittellehre war 1500 Jahre maßgeblich.
Indisches Salz
In der Dissertation von
Andreas Rohr 1) wird die Definition Dioscorides (im
75. Kapitel des 5. Buches) von ‚indischem Salz’ gegeben: „ indisches Salz ist
eine salzförmige Substanz, weißlich, zerbrechlich, im glücklichen Arabien aus
einem Rohr wachsend und im Geschmack an die Süße des Honigs erinnernd.“ Rohr
fährt fort: „Das indische Salz, das auch Zuccarum genannt wird, wird durch
Sonnenstrahlen aus dem Rohr herausgezogen und in eine salzartige Substanz
verwandelt.“ Bei Höcher2) wird „gediegener Zucker von der
Pflanze selbst ausgeschwitzt“. Obwohl er auch berichtet, dass auf Zuckerrohr
aus Madeira wenig (?) Zucker anhafte. Claude de Saumaise (1588 – 1658), der
nach seinem Tode Claudius Salmasius genannt wurde, äuißerte in einer Abhandlung
über Zucker, die er der Ärzteschaft von Paris widmete, die uns in einem Abdruck
aus seinem Nachlass vorliegt4) zum ersten Mal die Vermutung, dass
der Zucker der Alten mit unserem heutigen Zucker nicht identisch ist. Sie
wussten auch nicht wie saccharum entsteht. Die Meisten glaubten, es sei ein vom
Himmel gefallener Tau.
Seneca (1 – 65 n.Chr.)
berichtet in seinem 84. Brief: “Wie erzählt wird, soll in Indien an den
Blättern des Schilfes ein Honig gefunden werden, der entweder aus dem Tau
(Honigtau) jenes Himmelsstriches oder aus dem verdicktem Rohrsaft entsteht. 6)
Die Bezeichnung ‚indisches’ Salz für Zucker wird durch die Beschreibung von
Plinius verständlich: „Arabien produziert Zucker (saccheron); aber der aus
Indien ist berühmter.“ Bei Arabien kann es sich nicht um das Produktionsgebiet
handeln, es war eine Station des Zwischenhandels.
Zuckerrohr
Plinius beschreibt (16. Buch, im 36. Kapitel) 20 Arten von Rohr, die heute
nicht alle bekannt sind. Bei Jacobus Theodorus Tabernaemontanus (bei Rohr
Tabermontanus), der aus Bergzabern stammte und dessen „New Vollkommentlich
Kreuterbuch“1588 erschien, unterscheidet in seinem „Herbarium“ (6.Abschnitt,
Kap.38) nur 6 Rohrarten. 7)
Er nennt das Zuckerrohr auch Zuckerschilf oder Honigrohr.
Bei dem indischen Salz, das aus einem Rohr wachsen soll, oder durch die
Sonnenstrahlen aus dem Rohr herausgezogen wird, handelt es sich um den süßen
Saft des Zuckerrohrs, der von selbst, oder an einer (vielleicht durch ein
Schadinsekt) verletzten Stelle ausgetreten ist, und den die Sonne eingetrocknet
hat. Tabernaemontanus 7) bezieht sich auf Dioscorides (im 2.Buch, Kap. 71) und Galen (130 -
190)(im 7. Buch).
Salmasius 4) fand bei Avicenna (Ibn Sina
lateinisiert zu Avicenna, 980 – 1037), dass das Rohr unter dem Antrieb des
Windes aneinander reibe und bringe durch die Kollision Feuer hervor. In diesem
Feuer soll das indisch Rohr (Zuckerrohr oder Bambus?) verbrennen. Die
Asche des Rohres sei nach Averroes (arabischer Philosoph und Arzt aus
Cordoba, 1126 - 1198) Tabaxir. Sicher wurde durch die Bewegung durch den Wind
das Rohr dabei verletzt. Das heute angebaute Zuckerrohr ist so stabil und faserig,
dass eine Verletzung selbst mit einem Messer, kaum zum Austritt von Saft führt8). Um Saft zu gewinnen wurde in Brasilien im
bäuerlich-landwirtschaftlichen Bereich die Presse zur Gewinnung von
Zuckerrohrsaft mit 2 oder 4 Ochsen angetrieben8). Der Saft wird als schleimige weißliche Flüssigkeit beschrieben, die
unter dem Einfluss der Sonne so hart wie Bimsstein wird. 2)
Das Zuckerrohr bildet zahlreiche, aber wenig beständige Varietäten. Es
ist eine etwa 4 m hohe Pflanze und hat durch Kieselsäureeinlagerungen
scharfkantige Blätter.
Es ist ein Objekt der
Züchtung, heute auch mit Hilfe der Gentechnik; in USA gibt es 55 Freisetzungen,
in Australien 6. Der Zuckergehalt des Presssaftes erreicht heute 18%.
Fester Zucker
Rohr1) führt weiter in seiner Dissertation aus: ‚Seit aber in diesem
Jahrhundert (d.i. das 18.Jh.) die Bewohner der Heimat des Zuckerrohres (gemeint
sind die Anbaugebiete) es gelernt haben, durch Abkochung eine weit größere
Menge aus zerquetschten Rohrstängeln zu gewinnen, wenn das auch mehr Arbeit
kostet, hat man die von Dioskorides beschriebene Methode aufgegeben.. Der süße
Saft wird bei leichtem Feuer eingekocht, bis er die Konsistenz des Salzes erreicht
(d.h. bis zur beginnenden Kristallisation) ist und füllt den Saft in Tonkrüge
oder Trichter, die Glockenform haben. Die Spitze der trichterförmigen Gefäße
wird geöffnet, damit die noch vorhandene Flüssigkeit (d.h. abfließen kann
(Ablaufsirup). Nachdem der zusammen gebackene Zucker eine Zeit lang in diesen
Gefäßen gestanden und sich noch mehr verfestigt hat, nimmt man die Zuckerkegel
(Zuckerhut) heraus, trocknet und härtet sie an einem geeigneten Ort bei
leichtem Feuer.’ Das Verfahren zur Gewinnung von festem Zucker war in seinen
Grundzügen schon in Persien bekannt.
Die Gewinnung von festem Zucker aus dem Saft von gepresstem Zuckerrohr muss
schon in Indien erfunden worden sein: Um 650 v. Chr. schickte der chinesische
Kaiser Taitsung (627 – 650) (Tang Dynastie) Leute nach Indien nach Mokoto
(heute Bihar), um diese Technik zu lernen. 10)
Dareios I. (549 – 486 v. Chr.) dehnte das persische Reich bis zum Indus aus.
Von dort gelangte das Zuckerrohr nach Persien. Spätestens 619 wurde von Persien
‚schi-mi’, „Steinhonig“ nach China eingeführt. Marco Polo, dessen Reisen in die Jahre 1270 –
1295 fallen, berichtet, dass er die Herstellung von Zucker in verschiedenen
Provinzen gesehen hat, und dass einige Menschen aus Babylon (oder Cairo) anwesend
waren, die in der’ Kunst ,Zucker zu raffinieren’, unterrichteten.
Im 7. Jahrhundert kamen die Araber nach Persien, wo sie Zuckerrohr und
Zuckerbereitung kennen lernten. Ein Wissen, das sie dann in ihrem
Herrschaftsbereich d.h. rund um das Mittelmeer ausbreiteten.
Das in Persien aus dem Saft des Zuckerohrs gewonnene Saccharum Taberzeth (auch
Tabazeth), soll so hart gewesen sein, dass man es mit dem Hammer zertrümmern
musste.3)
Tabarzeth, oder Tabaschir, je nach Transkription) wird auf persisch tabaxi
zurückgeführt und soll ‚Steinmilch’ heißen, und ‚zu Stein verhärtete Milch’
bedeuten. Der bei dem
Einkochen des Saftes erhaltene Kristallblock entspricht der Beschreibung von
Tabarzeth.
Die Bruchstücke aus Zucker wurden in Kisten verpackt und verschickt. Der
französische Name Cassonade für Rohzucker, heute brauner Zucker, hat hier
seinen Ursprung von casser, zerbrechen.
Sand im Zucker?
Plinius schreibt in
seinem 12. Buch im 17. Kapitel: “ Arabien produziert auch Zucker (saccaron).
Aber der aus Indien ist berühmter. Es handelt sich um Honig, der auf Schilf
gesammelt wird, weiß wie Gummi, der zwischen den Zähnen knirscht, von der Größe
einer Haselnuss, nur in der Medizin verwendet.“ Die unterschiedliche
Auffassung, ob es sich bei dem Saccharum der Alten um Zucker oder
kieselsäurehaltige, opalartige Konkretionen in der Größe von Erbsen zwischen
den Internodien im Bambusrohr handelt, könnte auf der Verwechslung von Bambus
und Zuckerrohr (indisches Rohr) und auf den unterschiedlichen Zuordnungen von
Tabaxir beruhen. Diese
Erklärung vertritt auch der portugiesische Arzt und Botaniker, Garcia de Orta
(1499 – 1568), der in Goa (Indien) wirkte.9) In der heutigen persischen Sprache
wird Tabaxir eher dem Kandiszucker zugeordnet.
Das Knirschen würden wir heute auf die Zuckerkristalle zurückführen; es könnte
aber auch Sand („Kieselsäure“) gewesen sein. Da der Zucker ein sehr teures Gut
war, ist denkbar, dass Sand als Verfälschung, zur Erhöhung des Gewichts
zugesetzt war. Salz als Verfälschung wäre optisch nicht aufgefallen, allerdings
leicht bei einer Geschmacksprobe. Analytische Prüfung auf Identität und
Reinheit sind heute Standard bei Arzneibuchmonographien. Bei den vorgestellten
Dissertationen sind solche Prüfungen noch nicht zu finden. Eine Probe, die
analysiert werden könnte ist uns nicht überliefert. Die älteste Probe 10) von festem Zucker von der berichtet wird haben zwei Buddha-Mönche und
Ärzte 753 oder 755 von China nach Japan gebracht, wo sie in der kaiserlichen
Schatzkammer unter dem Namen Shô tô (Rohrzucker) aufbewahrt wurden. E.O.
von Lippmann10) bezieht sich auf eine amerikanische
Publikation von 1932. Nach einer neueren japanischen Publikation11) hat der chinesische Priester und Arzt Ganjin (688 – 763) im Jahre 754
diese Probe als Medizin nach Japan gebracht, wo sie in einer der drei
kaiserlichen Schatzkammern in Nara aufbewahrt wurde. In dem Verzeichnis von 756
ist diese Probe als Shato (Rohrzucker) aufgeführt, ist aber danach
vermutlich verloren gegangen, denn sie fehlt in den Verzeichnissen von 787 und
später, sie fehlt auch in der heutigen Datenbank der Schätze des kaiserlichen
Hofamtes 12)
Bibliographie
Beiträge zur
Entwicklungsgeschichte der Zuckerwirtschaft und der Zuckerindustrie,
herausgegeben von H. Olbrich
1) Heft 1
(1973) Über das Zuckerrohr
heilkundliche Inauguraldissertation
aus dem Jahre 1719
des Johannes Andreas Rohr
2) Heft
4(1975) Disputation von 1698
Über den Zucker
von Johannes Adam Höcher
3) Heft 6
(1976) Über den Zucker
Bemerkungen über den Zucker
aus dem Jahre 1763
von Anton Wilhelm Plaz
4) Heft 9
(19777) Bericht von 1663 über den Zucker aus Paris
Von Claudius Salmasius
5) Heft 10
(1977) Über den Zucker,
Abhandlung aus dem Jahre 1689
von Anton Deusing
6) E. O.
von Lippmann: Geschichte des Zuckers
2. Auflage Springer Verlag Berlin 1929
7)
www.kraeuter.ch/_texte/zuckerrohr_zucker.htm -
aus dem Kräuterbuch von Jacobus Theodorus Tabernaemontanus Ausgabe
von1625
8) Ich
danke Kollegen in Ägypten und Brasilien
für Informationen zum Zuckerrohr.
9) Ich
danke Herrn Prof. Dr. Eloir Schenkel Florianopolis S.C. Brasilien
für diesen Hinweis
10) E. O.
von Lippmann:
Beiträge zur Geschichte der Naturwissenschaften und der Technik,
Band II S.230f herausgegeben von R. von Lippmann
Verlag Chemie 1953
11)
Shôsôin Yakubutsu (Arzneimittel in der kaiserlichen Schatzkammer) Ôsaka,
1955
12)
ich danke Frau Ryuko Hasunuma vom japanischen Kulturinstitut Köln für diese
Information.
VERS LA TRADUCTION EN FRANCAIS